17. Leipziger Hörspielsommer im Richard-Wagner-Hain Leipzig

Jurybegründungen des 14. Internationalen Hörspielwettbewerbs

Preisträger BESTE INSZENIERUNG
Max Lange: DIE STERNENSAAT

DIE STERNENSAAT, ein dystopisches SciFi-Hörspiel, überzeugte die Jury mit einer ausgereiften Geschichte, deren Handlung sich mit den ideologischen und sozialen Unterbrüchen im Deutschland des einundzwanzigsten Jahrhunderts auseinandersetzt. Die verhandelten Konflikte um das biologische Überleben und die Erinnerungskultur haben – wie viele der guten SciFi-Stories – auch hier einen ernsthaften philosophischen Hintergrund und greifen die existentiellen Grundfragen an: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Max Langes Idee, die Vergangenheit in eine weit entfernte Zukunft zu transferieren, die dabei süffisant eingesetzte Ironie (das Schiff heißt „Neuschwabenland“ und die Sphärenstadt auf dem Schiff „Neuberlin“), eine atmosphärisch punktgenau eingesetzte Sprache und die ausgefeilte Dramaturgie führt zu einem beeindruckenden Hörerlebnis. Hier erfahren wir Hörspiel mit seiner ganzen Kompetenz: Sprache und Klang erschaffen eine fremde und ganz eigene Welt. Sie ist akustisch erlebbar und glaubhaft. An der Seite von Langes Protagonisten lösen wir uns von dem Alten, das bewahrt werden soll. Wir verstehen die Revolte gegen die Bevormundung in dem Zwei-Klassen-System des Raumschiffs durch eine Künstliche Intelligenz, die sicherlich die ganz großen Kulturschätze der Menschheit bewahrt, diese aber durch die permanente Wiederholung entwertet und entfremdet. Die Visionen des Helden und sein Freiheitsdrang sind eine Gefahr für die Spezies Mensch. Aber wo bleibt der Mensch ein Mensch in dieser Utopie? Max Lange findet seine ganz eigene Antwort darauf. Besonders hervorzuheben sind außerdem der sehr gut nachgestellte Sprechduktus der damaligen Wochenschaubeiträge und die sphärische Komposition, die dem Hörspiel zusätzlich eine einzigartige Atmosphäre verleihen.

Preisträger BESTES KLANGBILD
Janiv Oron: KREISENDE FRAGMENTE EINES DATENDIEBES

Das Feature besteht aus acht Fragmenten, die sich zu einer mehr als gelungenen, facettenreichen Collage aus O-Tönen, Samples, Text und Sound fügen. Die Arbeitsweise des Autors als DJ und Hörspielmacher wird nicht nur inhaltlich rasant in sehr dichten essayistischen Passagen reflektiert und theoretisiert, sondern auch mit Methoden aus dem Fundus eines Discjockeys klanglich kommentiert.
Scratch! Boom! Beat! The art of mixing – Janiv Oron montiert die verschiedenen Elemente souverän, demonstriert gekonnt unterschiedliche Wahrnehmungsweisen des Sonischen und bringt das Material in einen dramaturgisch genialen Rhythmus. Das Stück generiert Lust, sich selbst an die Turntables zu stellen, mehr über Ursprung und Geschichte der DJ-Kultur zu erfahren und Klänge differenzierter zu hören. Dass es all dies kann, ist beyond great!

Preisträger BESTE IDEE
Leo Hoffmann: SEKUNDENSCHLAF

Sekundenschlaf ist ein Spiel mit Psycho-Akustik. Was passiert, was nimmt man wahr oder wie funktioniert das Gehirn, wenn uns die Müdigkeit überfällt? Überzeugend und mit einem guten Gespür für die Wirkung von Geräuschen, Atmosphären und Musik, von Rhythmus und Überlagerungen, gehen die Hörspielmacher Leo Hoffmann und Anastasia Ioannidis diesem Wahrnehmungszustand nach. Gedanken und Erleben gehen hier mitunter getrennte Wege, akustische Illustrierungen finden erst zeitversetzt statt und ergänzen längst Erzähltes. Sprechakt und akustische Geste driften auseinander. Es ist die Müdigkeit selbst, die hier zum Hauptakteur wird. Das erlebt der Hörer nahezu physisch mit, wenn sich am Ende des Stücks ein kleines Gähnen fast nicht vermeiden lässt. Das ist lobenswerte Absicht der Macher und es funktioniert. Diesem Stück könnte man einen Hörspiel-Beipackzettel mitgeben, auf dem es heißt „zu Risiken und Nebenwirkungen, fragen Sie…“ Aus dem Versatz von Sprache und Geräuschen wird ein Spiel mit dem Hörer und seiner eigenen Wahrnehmung, ein Spiel mit akustischen Puzzleteilen. Ein kunstvoll komponiertes, lustiges, beeindruckendes Hörspiel, das zeigt wie wirkmächtig die verschiedenen Hörspielmittel sein können.