17. Leipziger Hörspielsommer im Richard-Wagner-Hain Leipzig

sonOhr-Festival 2016 : Bergfeen senden Radiowellen

Das sonOhr Festival in Bern präsentiert und kürt seit sechs Jahren aufwendige Schweizer Hörproduktionen. Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits auf den Geschmack gekommen waren, reisten wir auch in diesem vom 19.-21. Februar zum Schwester-Festival in den Süden.

Kuschelig ungemütlich

Gehört wurde in diesem Jahr im Kino Rex, dessen rot-samtene Sessel zur kuscheligen Rezeption einluden. Doch die Gemütlichkeit hielt nicht lange vor. Das Feature „Kriegsalbum – Was die neuen Heimkehrer mit nach Hause bringen“ eröffnete drei Festival-Tage, in denen nicht nur zu Genuss und Reflexion aktueller Hörkunst geladen wurde, sondern auch zu einer auditiven Auseinandersetzung mit aktuellen globalen und gesellschaftlichen Problemen. „Kriegsalbum“, welches Klaus Janek, Milena Kipfmüller und Jörg Lukas Matthaei 2015 als Live-Performance auf der Hörspielsommer-Bühne zur Aufführung brachten, konfrontiert die Hörenden mit Stimmen und Erzählungen von Menschen, die jahrelang in Kriegsgebieten gearbeitet haben. Krieg und Militarisierung ist auch Thema eines weiteren Hörstückes, das im Begleitprogramm des Festivals zu hören ist: „fearless radio_refuse: military.01“ von der israelischen Künstlerin Meira Asher ist ein Manifest gegen die Militarisierung in ihrem Land. Die Radioarbeit ist Teil der Serie „Seismographic Sounds“, in der das Netzwerk Norient Musikerinnen und Soundkünstler aus Pakistan, Israel, Finnland und Ghana über ihre Kunst und die Umstände ihrer Produktion sprechen lässt.

Michael Luisier im Gespräch mit Festival-Organisatorin Lucia Vasella über sein Hörstück "Katharsis".

Michael Luisier im Gespräch mit Festival-Organisatorin Lucia Vasella über sein Hörstück „Katharsis“.

Eine streitbare Produktion stellte der Regisseur und SRF-Redakteur Michael Luisier mit seinem Hörstück „Katharsis – Über den Umgang mit dem Unfassbaren“ vor und zur Debatte. Luisier konnte den französischen Zeichner Luz interviewen, der als Mitglied der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ den Anschlag im Januar 2015 überlebte. Das Interview lief jedoch anders als geplant, und so entstand ein Hörmonolog, der von einem individuellen Trauma erzählt, aber auch die Genre-grenzen des Radios befragt.

Dichtung & Dokumentarisches

Dieses und vieles mehr umrahmte den Wettbewerb als das Herzstück des sonOhr-Festivals. In 10 Blöcken wurden 19 für den Wettbewerb ausgewählte Hörstücke präsentiert. Eine dreiköpfige Jury prämierte am letzten Festivaltag drei Hörstücke in den Kategorien Fiction, Non-Fiction und besonderes Hörerlebnis. Doch die Kategorien sind fließend. Die ausgezeichneten Stücke verzahnen Dokumentarisches und Fiktionales, sie spielen mit den Genres, verweben Field-Recording, O-Ton und Erdichtetes, lassen Erdichtetes dokumentarisch erklingen – sie sind Hör-spiele.

Die sonOhr-Pokale klingen!

Die sonOhr-Pokale klingen!

So Christina Barons „Nordlichter – Ein Hörspiel in Mono(tonie)“, das im vergangenen Jahr auch im Hörspielsommer-Wettbewerb lief, und auf dem sonOhr-Festival nun mit dem Jury-Preis Fiction ausgezeichnet wurde. Die Hörspielmacherin inszeniert ein post-apokalyptisches Szenario: in einer menschenleeren Welt sendet Baron aus dem Radiostudio in der Hoffnung auf Resonanz. Diese sucht auch Martin Bezzola in seinem Feature La Nüvla la Pra Davant“, das in der Kategorie Non-Fiction ausgezeichnet wurde. Der Klanggestalter Bezzola begibt sich auf die Suche nach der Wirklichkeit des Mythos: was ist aus den Dialas, den Engadiner Bergfeen, geworden, die früher Teil seiner Lebenswelt waren? Das Hörstück nimmt uns mit auf eine sagenhafte Reise und dokumentiert zugleich die gesellschaftliche Rolle von Mythen in unserer postmodernen Gegenwart. Den Pix d’Ohr für ein besonderes Hörerlebnis gewann Simon Grabs „Hirnmusik“, welches der Autor selbst als einen „Hybrid zwischen Radiofeature und Hörspiel“ bezeichnet. Es ist noch mehr: eine künstlerische Klangforschungs-arbeit, in der der Komponist und Sound Artist Grab mittels zahlreicher Interviews mit Neurowissenschaftlern, Philosophen, Musikerinnen und durch Selbst- und Klangexperimente das Phänomen der Musik im Kopf befragt – wie klingt der Ohrwurm im Hirn, und werden wir ihn eines Tages da rausholen können? Das Publikum entschied, den akustischen Reisebericht von Donat Hofer „Über den Wellen zu den Wellen“ zu küren, den schweizerdeutsche Ohren wohl besser verständlich als unseren.

Fremde & bekannte Zungen

Als Schweizer Festival ist das sonOhr vielsprachig, und es ist ein besonderer Genuss den fremdzüngigen Hörarbeiten zu lauschen: italienisch in der akustischen Stadthistorie von Turin, die Flavio Stroppini und Andrea Manzoni aufgenommen haben; französisch, in dem beeindruckenden Live-Feature „Thermal“ des Trio de Cendres, sowie einer Reihe von schweizerdeutschen Dialekten, wie sie die Hörspielserie „Talentocracy“ von Giulia Meier durchtönen. Auch deshalb freuen wir uns, dass das sonOhr-Team in diesem Jahr die Vielfalt der Schweizer Hörspielszene in unserem „Internationalen Fenster“ auf die Hörspielsommer-Wiese bringt.

Reich beschenkt, mit erweiterten Gehörgängen und vielen Anregungen zutück - danke sonOhr und bis zum Sommer!

Reich beschenkt, mit erweiterten Gehörgängen und vielen Anregungen zurück – danke sonOhr und bis zum Sommer!

Vorerst haben wir ein Stück Hörspielsommer nach Bern gebracht, und zwei der Gewinnerhörspiele des Internationalen Hörspielwettbewerbs 2015 präsentiert: „Er+Ich“ von Helmut Hostnig und „Mad-Mex“ von Stephan Roiss, der erfreulicherweise leibhaftig anwesend war. Auch Regina Dürig begegneten wir, deren poetische Hörspielarbeiten in Zusammenarbeit mit Christian Müller seit einigen Jahren im Hörspielsommer-Wettbewerb zu hören sind. Und wir hoffen, dass es auch ihre aktuelle Arbeit „Aus dem Reisewörterbuch“ sein wird.

Tina Klatte & Alexandra Baraille